Das freie Wort zum Sonntag von Gerhard Riedl

Wir schätzen die freie Meinungsäußerung

und wir freuen uns sehr über diesen Gastbeitrag von Gerhard Riedl

 

Gerhard Riedl : Tangotänzer, Buchautor, Zauberer und Verfasser eines schier wunderbaren blogs.

Als ich die ersten Artikel las, konnte ich mit Lesen gar nicht aufhören. Zum Einen, weil ich mich oft vor Lachen gekringelt habe und zum Anderen, weil er tatsächlich etwas zu SAGEN hat. Es mag vielleicht nicht jedem gefallen was er zu sagen hat und wie er es sagt, aber ich denke das ist ja auch nicht seine Intention. Ich finde seine Texte spannend und unterhaltsam, sie bringen mich zum Lachen und zum Nachdenken. Sein blog gehört zu meiner Standardlektüre und ich kann ihn euch nur empfehlen. Schaut euch auch den „Lehrerblog“ an, sehr informativ und gar nicht fad 😉

Aber nun sein Beitrag, viel Spass beim Lesen :

Ruhe, Frieden oder Friedhofsruhe?

„Und als die Lampen gelöscht, die Kerzen angezündet waren, als die Zwerge anfingen zu hämmern, der Engel ‚Frieden’ flüsterte, ‚Frieden’, fühlte ich mich lebhaft zurückversetzt in eine Zeit, von der ich angenommen hatte, sie sei vorbei.“
(Heinrich Böll: „Nicht nur zur Weihnachtszeit“)

Es passiert nicht oft, dass über meine Beiträge (oder jetzt die von Manuela Bößel) zum Tango wirklich fundiert diskutiert wird. Umso mehr schätze ich es, dass jüngst auf dieser Tangoseite ein differenzierter Meinungsaustausch zustande kam:
http://tan-do.net/atango/2016/05/10/sehr-zu-meiner-freude-ein-gastartikel-von-manuela-boessel/

Ein Kommentator schreibt dort Manuela (und wohl auch mir) ins Stammbuch:

„Fragen zu stellen und nachdenkliche Gedanken zu äußern ist sicherlich nicht verwerflich, im Gegenteil, aber es kommt auch darauf an, in welchem Ton man das tut. Respektvoller Umgang bedeutet, sich immer wieder darüber Gedanken zu machen, wie die andere Seite die eigenen Handlungen und Äußerungen empfinden könnte. In eh schon etwas festgefahrenen oder sogar aufgeregteren Situationen ist es umso notwendiger, einen Schritt zurückzutreten und möglichst sachlich zu formulieren ohne angreifen zu wollen.
(…)

Ich habe kein Sendungsbewusstsein, was den Tango angeht. Mir ist es egal, wie und wo andere tanzen, solange sie mich so lernen und tanzen lassen, wie ich und dort wo ich es mag. Ich muss nicht mit anderen darüber streiten, ob dieser oder jener Tanzstil der richtige ist oder nicht, ich werfe niemandem etwas vor, jeder soll mit seinem Tango glücklich werden. Wir teilen alle ein höchst vielfältiges und schönes Hobby, jeder kann sich herauspicken, was er mag und was nicht, keiner muss alles können und wir befinden uns hoffentlich alle in einer Entwicklung – also lass uns doch einfach daran erfreuen anstatt über meiner Meinung nach Nichtigkeiten zu streiten?“

Dem kann man doch nur aus vollem Herzen zustimmen, oder?

Der klitzekleine Unterschied allerdings ist: Der Schreiber wurde wohl auch noch nie für das, was er im Tango tut, persönlich angegriffen. Er bewegt sich ja im derzeitigen Mainstream.

Das ist bei mir etwas anders.

Nach zirka acht Jahren im Tango spürten wir den konservativen Rollback bei unserem Tanz: Auf vielen Milongas wurde die Musik eintöniger – bei unserem wöchentlichen Tangotreff durch einen DJ, der ziemlich hartnäckig durchsetzte, dass hinfort nur noch er auflegte. (Er ist heute professioneller Tangoveranstalter und
-lehrer, selbstredend hardcore-traditionell.) Die damalige Gastgeberin ließ ihn gewähren, und wir waren rücksichtsvoll genug, nicht aufzubegehren.

Stattdessen machten wir 2007 unsere eigene monatliche Milonga im Saal einer Tanzschule auf – mit dem erklärten Ziel, die ursprünglich erlebte, vielfältige Tangomusik beizubehalten. Bereits bei unserer Eröffnungsmilonga musste sich meine Frau von einem Gästepaar die Bemerkung anhören: „Wir haben im Auto noch ein paar CDs mit richtigem Tango – sollen wir die holen?“

Einige Zeit später besuchte uns ein Star-DJ, dem wir jahrelang das Geld auf seine Veranstaltungen getragen hatten. Auf der Terrasse unserer Tanzschule hielt er vor größerem Publikum einen Vortrag: Er sei dagegen, dass nun überall in der Provinz kleine Milongas entstünden, welche den „gültigen Veranstaltungen“ die Gäste entzögen.

Das setzte dann ein örtlicher, selbsternannter „Tangolehrer“ um, der seinen Schülern abriet, unsere Tangoabende zu besuchen, da wir eine „zu schwierige Musik“ spielten. Ansonsten gab er sich große Mühe, seine eigenen Milongas fast stets auf Tage (oder Wochenenden) unserer Termine zu verlegen (obwohl wir diese stets frühzeitig ankündigten, eine Zusammenarbeit anboten und es in der Gegend damals sonst kaum andere Tangoevents gab). Generell erfolgte von traditionellen Veranstaltern nie eine Rückmeldung auf unsere Kooperationswünsche.

Anlässlich einer Buchlesung, bei der ich auch auflegen durfte (natürlich angekündigterweise gemischte Musik), musste sich meine Frau höchst aggressiv anpflaumen lassen: Man wolle gefälligst zu „Salontango“ tanzen! Bei einer anderen Buchpräsentation gelangen mir Verkäufe erst, als die örtliche Tangolehrerin die Veranstaltung verlassen hatte…

Ich lege inzwischen nicht mehr öffentlich auf, da es mir in den letzten Jahren regelmäßig passierte, wegen meiner Musikauswahl mit dummen Sprüchen bedacht zu werden: „Geht das Gedudel jetzt so weiter?“ „Was soll dieser aggressive Scheiß?“ (Wohlgemerkt: trotz eindeutiger Angebotsbeschreibung vorab!) Nicht nur von jüngeren, weniger erfahrenen DJs höre ich immer wieder Geschichten, sie seien von konservativen Vertretern förmlich „eingenordet“ worden, was „richtiger Tango“ sei… Und es soll Tangovereine geben, bei denen fortschrittlichere Aufleger regelrecht hinausgemobbt wurden.

Ich bin auch schon Hunderte von Kilometern vergeblich gefahren, weil ein DJ bei einem Silvesterball das vorher anders beschriebene Musikprogramm per Ellbogeneinsatz auf traditionell trimmte oder „Tango nuevo“ angekündigt war, aber kein einziges derartiges Stück auf dem Programm stand. (Namen mag ich nicht nennen, da ich ja niemand persönlich angreifen will.)

Ich habe in 16 Jahren an die 3000 Milongas besucht, davon sicherlich zwei Drittel traditioneller Art (liegt halt am Angebot). Niemals habe ich mich beim DJ beschwert (selbst wenn er zum 500. Mal „Remolino“ spielte) – gut, meine engere Umgebung musste sich regelmäßig ein paar Sprüche zum „Förderschultango“ anhören. Nach außen aber war ich stets nett, nicht wegen der Códigos, sondern, weil ich mich als Gast zu benehmen weiß. Von der anderen Seite bin ich das nicht direkt gewöhnt…

Durfte ich mich dann wenigstens durch das Schreiben wehren? Um 2008 verfasste ich ein kleines, satirisch geprägtes Skript („Kleiner Milonga-Führer“), das unseren Gästen großen Spaß machte, sodass ich es in einem Überschwang von Optimismus sogar an die Zeitschrift „Tangodanza“ schickte: keine Reaktion! Meine beiden Bücher (deutlich weniger harmlos) ernteten dort dann jeweils eine positive Besprechung sowie die Aufnahme ins Verkaufsprogramm. Shitstorms gegen meine Veröffentlichungen sorgten für ungeahnte Verkaufszahlen. Und mein Blog erfreut sich stetig steigender Zugriffe.

Na also. Geht doch. Wenn man sich wehrt.

Was ist das eigentlich für ein Gesellschaftsverständnis, welches pointierte Diskussionen ganz schnell in die Ecke „polarisierend“ oder gar „verletzend“ schiebt? Muss jeder Versuch einer Klärung der Standpunkte sofort in eine dicke Harmoniesoße verrührt werden, die letztlich nur denen schmeckt, welche dieses Gericht gerade bestellt haben?

Letztlich läuft es immer wieder auf das Unverständnis einer herrschenden Mehrheit hinaus, warum die Underdogs so laut und unziemlich protestieren: „Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen.“ (Quelle: nicht Marie Antoinette, sondern Rousseau)

Tja, Leute, weil man sie sonst halt nicht hört!

Ruhe und Frieden sind hohe Güter, aber sie müssen zurückstehen, wenn der Tango – oft in ziemlich autokratischer Weise – zum „Friedhof der Kuscheltiere“ umgepolt wird.

Fazit: Einem Engel eine Kerze unter den Hintern zu halten, auf dass er „Frieden, Frieden“ flüstere, funktioniert   wohl höchstens zu Weihnachten!

P.S. Nach Sendung der Hörfunkfassung von „Nicht nur zur Weihnachtszeit“ (1952) warf Pfarrer Hans-Werner von Meyenn dem Autor Heinrich Böll „Verunglimpfung des deutschen Gemüts“ vor. Alles schon mal dagewesen…

 

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http://milongafuehrer.blogspot.co.at/

 

Vielen Dank lieber Gerhard für diese sehr persönlichen Einblicke und ein herzlicher Gruß nach Pörnbach !

Ich glaub wir müssen da mal Urlaub machen …. 😉

 

Euch noch einen schönen Sonntag, alles Liebe

Alessanda

SyS

 

 

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Bildquellen dieses Beitrags

  • portrait: Gerhard Riedel

2 thoughts on “Das freie Wort zum Sonntag von Gerhard Riedl

  1. Hallo Ihr Lieben,

    nehmt mich bitte mit nach Pörnbach zur Wohnzimmermilonga.

    Aber nicht verzagen:
    ein von unbeugsamen Tänzern bevölkertes DORF hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten 😉

    Servus, Berni

    • Hi Berni 🙂

      Wir befinden uns im Jahre 2016 n.Ch. Ganz Bayern ist von den Traditionalisten besetzt … Ganz Bayern ? Nein ! ein von unbeugsamen Tänzern …

      Ja klar nehmen wir Dich mit nach Pörnbach !!!! 🙂 🙂 🙂
      Peter und ich hatten heute schon eine Menge Spass ob Deines Kommentares … sollten wir eine Tangoreise organisieren? …. Gardel geknebelt an einen Hinkelstein fesseln? …. und noch viel Schönes mehr … 😉

      Immer schön von Dir zu hören !

      Liebe Grüße und bis bald !!!!

      Alessandra und Peter

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